« Extinction Rebellion und das Zentrum für Politische Schönheit | Startseite Über Dialektik »

Sonntag, 24 November, 2019

Extinction Rebell*innen

(editiert am 22.01.2022)

ihr seid aufgebrochen und mehr und mehr sind zu euch gestoßen, gemeinsam habt ihr Ortsgruppen gebildet; weltweit. Nicht aus freien Stücken, die Sorge um den Klimawandel treibt viele und Viele haben einen triftigen, den selben Grund.

Nur noch Menschen, die empirisch erfasste Befunde über den Klimawandel so gar nicht deuten können, wollen ein "alles weiter so" und das auch nur, wenn der Grund für sie günstig ausfällt. Die meisten Menschen machen sich darüber keine Gedanken; zwischen der Flut von Informationen tritt nur die Werbung ordentlich optimiert hervor, das Menschliche muss zurücktreten. Diejenigen, denen wir die Lebensmittel besorgen müssen, kennen ohnehin nur ihren Weg und diese haben ihren Katechismus schon vor langer Zeit gegen das Bürgerliche Gesetzbuch eingetauscht. Sie fühlen sich wohl in einem Leben, das sie gerne als eine Form des "american way of life" betiteln obwohl sie in aller Regel dieses Leben gar nicht kennengelernt haben; sie vertrauten der Werbung und für Manchem war Jeams Dean gar ein Idol. Sie genießen es im Kino und anderswo, keinesfalls aber zu Hause, denn das haben sie schon lange nicht mehr. Ihr Leben nützt, taugt aber nicht; vor allem nicht für ein harmonisches Leben mit Anderen gemeinsam auf diesem Planeten; sie verhalten sich politisch.

Die aber, die empirische Befunde zu Deuten verstehen, wissen, dass es eigentlich zu spät ist. Aber sie wollen nicht mehr länger nur diskutieren und zuschauen. Ihr bequemes Leben ist unbequem geworden und viele wissen gar nicht was sich eigentlich genau verändert hat. Vieles aber hat sich verändert. Aber wer ist schon dermaßen privilegiert Veränderungen wahrzunehmen und kann sie sogar studieren?

Aber auch ohne dieses Privileg kann jeder Einzelne inzwischen Veränderungen warnehmen. Überall, und sei es im Wald, tritt inzwischen das Politische in Erscheinung; der Teufel läd zum letzten Angriff.

Sie verstehen weshalb Menschen alles riskieren, um weg zu kommen aus Landschaften, die zunehmend verarmen, die kaum mehr bewohnbar sind. Verarmen an Allem: angefangen von sauberem Wasser, Bodenflächen, für die man noch nicht bezahlen muss; an Rechten, die nur andere, die Vermögenden haben.

Irgendwann ist das Maß voll, da packte man das Wenige was noch blieb, besorgt sich das letzte Geld und bezahlt alles, notdürftig. Sie suchen und wollen doch nur das Letzte zurück, das nicht bezahlbar ist aber längst bezahlt werden muss: Ihre Würde. Doch dafür fehlt ihnen das Geld.

Auf der anderen Seite des Himmels wollt ihr handeln. Nicht eine Selbstsucht treibt euch. Sonste wären wir nicht zusammengekommen. Es waren liebensbetonte Stunden mit euch. Aber es ist auch nicht klar was neben der fundamentalen Sorge um den Klimawandel euch treibt, weil das Ziel nicht klar ist. Ihr sagt, dass das "selber essen macht satt" keinen Grund darstellt und ihr aus der Komfortzone heraustreten wollt, das toxische System gar in Frage stellt. Die Impfplicht stellen viele unter euch nicht in Frage; viele gehorchen diesem Staat. Ihr beziffert jede eurer Visionen ausgerechnet von 1 bis 10, die aber deshalb doch noch keine Visionen sind und auch keinesfalls Gebote. Es sind Vorsätze, die kaum taugen, dass das Selbstverständliche, das jedem einfachen Menschen seit Urzeiten eigen ist, wieder hergestellt wird: Visionen auf Veränderungen, einer Kultur der Regeneration, der Reflexionen und des Lernens. Vor allem Letzteres wird längst staatlich verordnet, das sind Illusionen. Und das Gastrecht, das auch schon früher alle willkommen hieß und selbst dann galt, wenn die Krüge und der Brotkorb nur wenig gefüllt waren; es ist nichts Neues. Das haben die Katholiken, die nur der Bergpredigt des Evangelisten Matthäus folgten, auf dem Land schon immer gelebt. Das wurde nur vergessen, musste vergessen werden, damit der Markt der Konkurrenz, der sich inzwischen entwickelt hatte für die Bürger allerorts besorgt werden konnte. Dieser Markt entstand früh und kann genau datiert werden mit den Tagen, in denen die Allmenden den Bauern genommen wurden und sie gegen die Herren zum ersten Mal deshalb in einen hoffnungslosen Krieg zogen. Sie folgten dem Alttestamentler Thomas Münzer. Dort mussten sie sogar noch den Fluch des Augustinermönchs Martin Luther ertragen, wenn sie ihn noch hören mussten bevor sie die Lanze traf.

Ihr seid nicht aufgebrochen die Fesseln der bürgerlich protestantischen Tugenden abzulegen. Das Gehen ohne Fesseln aber muss erst wieder gelernt werden nachdem ihr die religiösen Fesseln auch abgeworfen habt. Das habt ihr nicht bedacht: Es sollte eure wirkliche Vision sein und derzeit die Einzige, die in die Zukunft zeigt. Ihretwegen bin ich bei euch: Ziffer 9, die Idee eines gewaltfreien Netzwerkes. Aber es muss vollkommen unpolitisch sein. Gerade der weitere Ausbau eures Netzwerkes wäre etwas wirklich tragfähiges, das den Gesellschaften, die sich über den Staat organisieren, als Vorbild entgegengestellt werden könnte; das uns organisiert und geeignet sein könnte, den bürgerlichen Staat wieder aus den Köpfen der Menschen zu treiben.

Ein wahrhaft menschliches Netzwerk, in dem weltweit sich die Menschen gegenseitig zuhören und ihre materiellen Grundlagen miteinander teilen. Es ist aber falsch wie ihr diese Vision kommuniziert. Wer weiß, wie die Polizei seit vielen Jahrzehnten kaserniert ausgebildet wird, kann euer anbiederndes Geschwätz kaum ertragen. Natürlich sind Polizist*innen Menschen wie du und ich und ihnen gehört unsere Liebe, aber sie stehen unter einem Befehl. Wie immer werden sie knüppeln, gar totschlagen, wenn der Befehl gegeben wird. Karl-Heinz Kurras muss euch im Gedächnis bleiben auch wenn ihr damals noch gar nicht geboren ward. Er steht stellvertretend für jeden bestellten Mörder aus dem Umfeld der Polizei. Oury Jalloh lebte bereits unter euch; wie Benno Ohnesorg war er Mensch. Genauso wenig wie all jene vergessen werden dürfen, die ihren Dienst bei der Polizei quittieren weil sie nachgedacht haben. Es geht im Kern doch auch nicht wirklich darum: Weshalb kommuniziert ihr diese Heucheleien?

Wieder komme ich zurück auf den Evangelisten Matthäus. Es geht um die Wange, die auch mit der Linken geboten wird, wenn der Andere zuschlagen muss. Das heißt aber nicht, dass der Andere frei gesprochen werden darf, ihm zuvor gar Blumen überreicht werden sollen. Er gehört nicht zu euch! Und das Überreichen von Blumen hat nun mal gar nichts mit Liebe zu tun; das tun bevorzugt die Verräter unter uns.

Das Leben auf diesem Planeten ist nicht das Paradies.

Der krasse Gegensatz muss stets bewusst, muss kalkuliert werden; gewaltlos. Und so komme ich zur eigentlichen Sache: Die Wolken, die aufgezogen sind und eure Schatten aufgelöst haben.

Es muss klar sein, dass dieser Roger Hallam zunächst die Schatten und jetzt die Medien bedient hat. Die Medien wussten natürlich, dass viele Menschen mit diesem Virus des Selbstischen, der persönlichen Eitelkeit infiziert sind. Dieser Virus ist der Träger des bürgerlichen Lebensgefühls. Hier aber sind die Medien das Problem. Obwohl alle wussten, dass eines Tagen zumindest einer der Protagonisten von XR diesem Virus erliegen wird, schlugen sie zu ohne seine Krankheit zur Kenntnis zu nehmen. Sie beschützen ihn nicht wie sie euch nicht beschützen werden wenn die Sache ernst wird. Sie instrumentalisierten ihn, stellten ihn aus. Gut, dieser Herr Hallam ist ein menschenverachtender Mensch, einer der noch geistig bei den Gestrigen verblieben ist, von denen Hannah Arendt schon berichtet hat, als sie von der Banalität des Bösen sprach: Ein Mensch, der einen Satz vom "Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt" in Kenntnis der Grauen von Auschwitz formuliert ist schwer krank und hätte beschützt werden müssen; ihn darf man keinesfalls auf eine öffentliche Bühne zerren, sonst macht man sich selber schuldig. Viel mehr schuldig als dieser armselige verlassene Mensch sich schuldig gemacht hat. Mit seinem menschenverachtenden Hilferuf, mit dem er die Mörder und Stiefellecker der früheren faschistischen Herren noch einmal anruft, obwohl diese längst tot sind, stimuliert er die Phantasien der Medien auf ein außerordentliches Geschäft. XR-Rebell*innen schweigt dazu, da ist nichts zu sagen.

Nutzt stattdessen diese aufziehenden Wolken, die alle Schatten vertreiben und der Verlust eurer Schatten diesmal nicht euch sondern diesen finsteren Wolken geschuldet ist zur Formulierung eines klaren Ziels wohin ihr wollt. Aber es genügt nicht nur etwas zu wollen: Vom bloßen Wollen ist noch keiner satt geworden sagte Ernst Bloch an solchen Stellen. Sein Prinzip Hoffnung ist doch das Einzige was uns noch trägt und deshalb sollten wir auf ihn hören. Es müssen jetzt die Wege gegangen und das Ziel benannt werden. Sonst kommt das Netzwerk XR ans Ende noch bevor die Richtung bestimmt worden ist.

Ihr sagt ihr verlasst die Komfortzone, wollt handeln nicht zuerst für euer Wohl sondern für das Wohl aller. Zum Schwur ist es noch nicht gekommen: Noch haltet ihr fest was ihr habt. Das ist verständlich, denn es ist schwer zu verzichten Erst recht wenn man nicht genau weiß wozu. Ihr seid auch nicht Glaubensschwestern und Glaubensbrüder; die Natur liegt euch am Herzen, ihre Bedrohung durch den ungebrochenen Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre. Ihr wollt nicht warten und falsifizieren kann eh keiner die empirischen Befunde, die euch treiben. Bedenkt aber: manch einer verzichtet nur weil er nichts hat. Das ehrt ihn nützt aber nichts: Es geht nicht um Neutralität. Wir müssen abgeben von dem was wir haben. Und jetzt wo die Schatten weg sind müsst ihr sagen wohin ihr wollt; besser was ihr wollt. Abgeben allein nützt ja nichts wenn die Anderen den Verbrennungskapitalismus weiter nicht nur betreiben sondern weiter ordentlich anheizen! Sie werden euch belächeln weil ihr als nützliche Idioten euch zu Helfern der Sozialsysteme dekratiert und helft dieses System der täglicher Ausbeutung und Niedertracht zu stabilisieren. Die Vermögenden werde euch danken und vielleicht sogar noch etwas zu euren Abgaben beisteuern; die lassen sich nicht lumpen.

Das alles ist aber kein Systemwandel, von dem die 15-jährige Greta Thunberg so klar gesprochen hat. "Ihr habt uns bisher nicht geholfen, ihr werdet uns auch künftig nicht helfen", und weil das so ist und ihr innerhalb des Systems nicht ändern könnt dann müsse eben das System geändert werden. Trotzdem betrat sie die politische Bühne. Sie ist jung. Ihr dürfen wir das nachsehen.

Euch ging eine Bewegung voraus, die sogenannte 68iger. Die Erkenntnis, dass damals ein Einzelner den Marsch durch die politischen Institutionen empfohlen hat und damit eine kleine aber immerhin überhaupt eine erste Chance nach dem verheerenden Krieg trotz vieler Warnungen so leichtfertig verspielt hat sollte eigentlich Warnung für euch genug sein: Macht nicht denselben Fehler. Meidet die politische Bühne. Diskutiert die Ursachen des Klimawandels und handelt.

Nachtrag: Zumindest für die XR-Ortsgruppe Hamburg-Harburg darf ich Auskunft geben: Sie handelt. Glaubte ich. Sie unterstützt nicht mehr ohne Wenn und Aber die Erklärung aus Freiburg. Denn es wurde doch noch eine Stimme laut, die verlangt, dass diese Erklärung nicht unterstützt wird. Das Ziel, die Rettung des Planeten, muss auf die Befindlichkeiten einzelner Rebell*innen natürlich achten und erst einmal hinten anstehen. Immerhin kommt dann die Revolution, von der Roger Hallan träumt, auch nicht voran. Der Klimawandel auf unserem Planeten kümmert sich aber nicht um derartige Kinderreien, er wird von Hardlinern erzeugt, mit denen ist in Sachen Klimawandel nicht zu spaßen.

2. Nachtrag: Die Zeit ist fortgeschritten, viel zu schnell und es muss gehofft werden, dass der Klimawandel nicht ebenso schnell nachzieht. Diesen Punkt 3 der ExtinctionRebellen, ich gestehe, ich habe ihn übersehen. Ich habe in den Prinzipien gelesen; die Forderungen habe ich außer Acht gelassen. Die erste Forderung: Sag die Wahrheit, hatte ich noch gelesen, daran erinnere ich mich. Sie reichte mir um ein Vorurteil zu bilden: Kinder sind´s. Aber ich lerne gerne von und mit Kindern, freue mich, wenn die Freude der Kinder bis ins Alter lebendig bleibt. Deshalb war das nicht wichtig und schon gar nicht verdächtig. Jetzt aber, ins Gerede gekommen und öffentlich verhandelt, las ich weiter und muss mich korrigieren, gar entschuldigen. "Den bürgerlichen Staat aus den Köpfen zu treiben", gleichzeitig aber jenseits von Wahlen und aktiver Bürgerbeteiligungen Experten exekutive Macht zu verleihen das hatten wir schon: In autoritären korporativen Systemen. Aus Alfredo Roccos "Camera dei Fasci e delle Corporazioni" wird eine "Camera dei Fasci delle esperti". Es ist vielleicht lange her, aber ich behandle es dogmatisch: Nie wieder Faschismus, dann lieber den natürlichen Tod durch Klimaveränderung.

3. Nachtrag: Euer Sprecher vertrat euch in einer Talkshow. Diese unterhalten heute die Anderen, die nicht wie ihr seid. Sie müssen deshalb ernst genommen werden, er hätte sich vorbereiten sollen. Er wusste was sein Gegenüber sagen wird, der hat nie etwas anderes gesagt. Euer Sprecher hat die Chance verpasst, ihr habt die Chance verpasst. Er hätte die Anderen ins Boot holen können, zumindest sein Gegenüber. Euer Sprecher war freundlich, er vertrat die harte Linie; bestimmt, aber mit einem falschen Gedanken. Denn sein Gegenüber hat recht: die Verursacher des Klimawandels agieren weltweit! Die Menschen dort sind oft noch unterentwickelt und wollen ein Leben führen wie wir. Es ist unfair ihnen das zu verdenken! Sein Gegenüber hat recht wenn er mahnt, dass der dort laufende Verbrennungskapitalismus ins Visier genommen werden muss. Natürlich dar dies nicht vom eigenen Verbrennen ablenken. Aber bedenkt, die Anderen wollen und wir besorgen das Geschäft. Das wird die Erde aufheizen. Er hätte ihn umarmen und ihm dankbar sein sollen für seinen wissenschaftlich fundierten und gesicherten Hinweise. Dass sein Gegenüber deshalb vor der eigenen Haustüre nicht kehren will darauf kommt es doch jetzt nicht an. Er kann ihm das auch nur unterstellen, aber sein Gegenüber folgte eurem Gebot: Sag die Wahrheit. Er hätte also diese entscheidende Phase der Diskussion nutzen können um deutlich zu machen, dass die erste Aufgabe von Extinction Rebellen der Aufbau eines weltumspannenden Netzwerkes ist, in dem sie den Staatenlenkern die Stirn und die Völker aufklären wollen. Das Material der Aufklärung liefern sie zusammen mit den reichen Menschen in ihrem Land; das verstehen sie unter sofortiger Entwicklungshilfe. Sie kämpfen aber auch dafür, dass sein Gegenüber unterstützt wird und die Technologien entwickelt werden, die eine radikale Abkehr von diesem gottlosen Verbrennungskapitalismus möglich machen. Klar, Gott könnte er weglassen, das klingt dann doch verdächtig, das versteht heute auch eh keiner mehr. Die Chance ist vertan.

Posted by Michael Schwegler at 8:18
Edited on: Montag, 09 Dezember, 2019 23:45
Categories: Aktuelles